So nun habe ich am Sonntag die 174 Seiten des Regierungsprogrammes durchgelesen (paar Seiten sind ja leer). Bei den ersten Stellungnahmen ist es ja entweder der Befreiungsschlag für den Standort Österreich oder für Arbeitnehmer das Programm Richtung Weltuntergang (je nachdem welche Partei sich dazu äußert). Da sollte man sich seine eigene Meinung bilden und das habe ich zu allen 25 Unterpunkten des Inhaltsverzeichnisses dann auch gemacht.
Ein paar Punkte zum allgemein zum Regierungsprogramm:
Viele Worthülsen und zu oft bleibt man vage
Wie auch im Wahlkampf sind sehr viele Maßnahmen zumeist sehr vage gehalten, Details wie man die Maßnahme umsetzen wird oder gar die Finanzierung fehlen zumeist. Da ist/war der Plan A der SPÖ unabhängig von der inhaltlichen Qualität was die Umsetzung betrifft viel konkreter.
Der Vorteil daran ist, dass jeder Laie eine Meinung dazu haben kann, weil es eh nicht in die Details geht .
Bei den letzten Regierungsprogrammen hat es zumindest teilweise ein Zieldatum für die Umsetzungen gegeben, diese fehlen auch komplett.
Ganz schön wirtschaftsliberal
Klar die Liste Kurz orientiert sich sehr stark an den Forderungen des Wirtschaftsbundes (es geht um den Standort), und in der FPÖ sind Arbeitgeber auch stark vertreten. Dass das Programm aber dann so sehr unter dem Motte steht „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ hätte ich aber nicht gedacht. In vielen Punkten ist das im Programm gut, aber es sind auch einige sehr harte Maßnahmen dabei. Man muss im kompletten Programm nur zählen wie oft es bei Maßnahmen darum geht, die Wirtschaft zu stärken und wie oft es darum geht das Leben von Menschen zu verbessern. Schlussendlich wird es aber auch hier auf Augenmaß ankommen und die FPÖ wird da schon aufpassen ihre Wähler nicht zu sehr wieder an die SPÖ zu verlieren.
Subsidiarität gegenüber der EU aber Zentralisierung in Österreich?
Unter den Prinzipien findet man im Programm folgenden Punkt:
„Subsidiarität bedeutet Vorrang für Eigenverantwortung und die kleinere Einheit. Sie fördert lebensnahe Lösungen und entlastet übergeordnete Gemeinschaften sowie den Staat. Subsidiarität ist ein Schlüsselwert im gemeinsamen Europa. Sie ist auch Garant gegen zentralistische Tendenzen in der Europäischen Union.“
Ich bin voll für Subsidiarität, aber bitte dann auch auf allen Ebenen. Im Programm wird mit dieser gegenüber der EU immer wieder argumentiert. Vom Bund Richtung Länder und Gemeinden kommt diese aber nicht mehr vor, da geht es bei einigen Maßnahmen genau ums Gegenteil, nämlich einen stärken Zentralstaat. Subsidiarität für starke Gemeinden würde ich mir wünschen.
Vieles aus dem Regierungsprogramm 2017/2018 übernommen
Die alte Bundesregierung wollte ja mit dem „Für Österreich Arbeitsprogramm der Bundesregierung 2017/2018“ in den letzten 18 Monaten durchstarten, ist dann aber anders gekommen . Viele kleine sinnvolle Punkte im neuen Programm 2017 – 2022 sind schon auf dem Weg oder vorbereitet und wurden daher übernommen.
Differenzierung bei Flüchtlingen
Meiner Meinung nach eine Differenzierung nach Wirtschaftsflüchtlingen und Konventionsflüchtlingen seit 2015 wichtiger den je. Die Grünen auf der einen Seite wollen diese Differenzierung eher nicht, Begründung: weil wir auch an den Wirtschaftsflüchtlingen mitschuld sind und deren Lebensgrundlage mit zerstören. Bei der FPÖ gibt es diese Differenzierung auf der andren Seite aber auch sehr oft nicht, alle Flüchtlinge werden in eine Tonne geworfen und das findet sich im Regierungsprogramm auch das eine oder andere Mal wieder.
Meine persönliche Gesamtwertung für das Regierungsprogramm 2017 – 2022 ergibt 7,0 von 10 Punkten
Für manche wird das jetzt eine viel zu gute und für andere eine viel zu schlechte Bewertung sein. Ich hab die unterschiedlichen Bereiche auch nicht gewichtet. Eine gute Bewertung in Sport gleicht für das Leben der meisten Menschen eine schlechte Bewertung bei Bildung oder Arbeit eher nicht aus, aber eine sinnvolle Gewichtung für alle 25 Punkte findet man ohnehin kaum.
Die positiven Überraschungen Umwelt und Energie
Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Bereiche Umwelt und Energie im Programm so gut bewerte (Energie dabei besser als Umwelt), aber gerade bei Energie finde ich das Programme in Summe wirklich nicht schlecht. Aufpassen muss man in diesen Bereich, aber das kommt auch bei Verkehr und Infrastruktur vor, mit der Forderung nach schnelleren, einfacheren und unbürokratischere Verfahren/Umweltverträglichkeitsprüfungen, dies darf natürlich nicht zu geringeren Rechten für Anrainer und Betroffene führen.
Die negative Überraschung schlechthin für mich: Landwirtschaft und ländlicher Raum
Im Berech Landwirtschaft wird scheinbar von der Regierung verstärkter Export und bessere Wettbewerbsfähigkeit der Bauern als Lösung gesehen. Konzepte zu einer ökologischeren und nachhaltige Landwirtschaft (muss für mich nicht Bio sein) als Alternative sucht man vergebens, regionale Landwirtschaft kommt als Thema auch überhaupt nicht vor.
Bekenntnis zu einer wettbewerbsfähigen, multifunktionalen und flächendeckenden österreichischen Land- und Forstwirtschaft auf der Basis bäuerlicher Familie
Exportinitiativen für Agrarprodukte, Lebensmittel, Zuchtvieh, Forst- und Umwelttechnologie
Es kommen im Unterpunkt Landwirtschaft zwar einige kleine gute Vorschläge vor, aber in Summe geht es weiter wie bisher mit dem Zielen wettbewerbsfähiger und exportorientiert zu sein. Das fördert größere Einheiten mehr als bisher und das Bauernsterben wird unverändert weitergehen.
Den Begriff Regionen wirft man in einigen Kapiteln immer mal wieder ein, auch dass der ländliche Raum wichtig ist. Mit den Herausforderung der Regionen in Österreich beschäftigt man sich aber eigentlich überhaupt nicht. Ich hätte mir da zumindest einen Satz zu den Stadtregionen und/oder der regionalen Entwicklung der Regionen gewünscht, auf knapp 180 Seiten sollte das irgendwo Platz finden.
Bildung
Unter Bildung stehen zwar im Regierungsprogramm viele kleine Maßnahmen die sinnvoll sind, eine echte Bildungsreform die notwendig wäre fehlt ab er. Noten von 1-5 in den Volksschulen einzuführen und div. Pflichten einzufordern werden die Herausforderungen in unseren Bildungssystem ganz sicher nicht lösen.
Soziales und Konsumentschutz + Arbeit
Im Bereich Soziales und Arbeit sind viele Änderungen geplant, die zumindest für Arbeitnehmer oder Arbeitslose schon eine massive Verschlechterung zu jetzt darstellen. Die Geschichte mit der max. 60h Arbeitszeit pro Woche sind da wirklich harmlos. Es wird aber auch wie bei der flexiblen Arbeitszeit von max. 12h pro Tag auf die Umsetzung in Detail ankommen.
Zumutbarkeit reformieren − Ausweitung der zumutbaren Wegzeiten von eineinhalb Stunden auf zwei Stunden für die Hin- und Rückfahrt bei einer Teilzeitbeschäftigung und von zwei auf zweieinhalb Stunden bei einer Vollzeitbeschäftigung (generelle Anhebung außer bei Betreuungszeiten analog zu § 7 Abs. 7 Satz 2 im Arbeitslosenversicherungsgesetz) − Überprüfung Berufsschutz und Entgeltschutz in Richtung stärkerer Arbeitsanreize
Keine Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs durch Krankenstände außer bei stationären Aufnahmen (Bekämpfung von Sozialmissbrauch)
Arbeitslosengeld NEU: Degressive Gestaltung der Leistungshöhe mit klarem zeitlichen
Verlauf und Integration der Notstandshilfe
Die Presse, die ich eher nicht als linkes Blatt einschätze, hat diesen Bereich wie folgt bewertet:
„ÖVP und FPÖ: Jetzt kommt Hartz IV
ÖVP und FPÖ planen bei Arbeitslosen einen Paradigmenwechsel. Es sieht danach aus, dass ein System wie Hartz IV in Deutschland eingeführt wird.“
Direkte Demokratie
Die FPÖ hat rund um die Direkte Demokratie viele Forderungen in den Verhandlungen abgeschwächt/aufgegeben. Geblieben sind ein paar Änderungen auf Bundesebene, die man kaum bemerken wird. Was mich an der ganzen Diskussion stört, es geht immer nur um die Bundesebene.
Die Wiege der direkte Demokratie in der Schweiz liegt in den Gemeinden und auch in Österreich muss sie dort beginnen. Mehr direkte Demokratie in Bundesländern und Gemeinen kommt im Programm nicht vor.
Verwaltungsreform mit guten Ansätzen
Unter Verwaltungsreform findet man viele bekannte und gute Vorschläge, wie einen Neuausrichtung des Finanzausgleichs Richtung Aufgabenoriertierung, eine Transparenzdatenbank die auch befüllt werden muss usw.
Wirtschaftsstandort und Entbürokratisierung
Auch ein relativ starker Punkt im Programm, das muss man auch alles erst mal umsetzen und bei einigen Punkten muss man sicher die Arbeitnehmerrechte im Auge behalten.
Wo blieb die FPÖ im Regierungsprogramm?
Nach meiner Einschätzung findet sich die FPÖ nur in wenigen Bereich wieder, das kann subjektiv natürlich auch daran liegen, dass sich ÖVP und FPÖ im letzten Jahr so stark angenähert haben, dass man sie kaum noch unterscheiden kann.
Der Rückzug vom totalen Rauchverbot ist da der eindeutigste Punkte, von den großen Forderungen wie mehr direkte Demokratie, CETA-Volksbefragung, Abschaffung der Kammernpflicht, Abschaffung der GIS Gebühren ist wenig bis gar nichts im Programm zu finden.
Bei vielen Punkten wird es davon abhängen, wie diese umgesetzt werden. Wie bei jeder anderen Regierung wird man nach der 100-Tage-Frist eine erste Bilanz ziehen können, wohin es wirklich geht. Dazu passend das Titelbild der Kleinen Zeitung vom 19.12.2017: