Ich habe mich zwischendurch auch als Nicht-Grazer mal mehr mal weniger intensiv mit der Grazer Gemeinderatswahl beschäftigt. Zum einen liegt Gössendorf ja direkt an Graz und ich habe vor meinem Umzug nach Gössendorf auch ungefähr 10 Jahre in Graz gewohnt.
Meine Gedanken zu den Gründen für das Wahlergebnis und was diese für die einzelnen Listen bedeuten:
ÖVP
Graz ist für eine große Mehrheit eine sehr lebenswerte Stadt, wenn überhaupt politisch, verbindet man das mit der Bürgermeister Partei. Dementsprechend gab es in Graz auch keine Wechselstimmung, hinzu kommt, dass die persönlichen Umfragewerte von Siegfried Nagl sensationell hoch waren und sind.
Die Kampagne der letzten Tage „Nagl wählen“ passt dazu und ist in Summe auch aufgegangen.
Das Problem der ÖVP ist nun einen sinnvollen Partner zu finden, der nicht zu viel verlangt, die Auswahl ist ja stark begrenzt. Eine Koalition mit der KPÖ hat man ausgeschlossen, die SPÖ will selbst in Opposition, bleibt für eine stabile Mehrheit fast nur die FPÖ, der ist das natürlich bewusst und die wird auch dementsprechende Forderungen stellen.
KPÖ
Der Erfolg der KPÖ ist auf drei Punkte zurückzuführen, zum einen schaffen sie es am meisten aus ihrem Stadtrat zu holen bzw. dies am besten zu verkaufen. Sie sind im Bereich leistbares Wohnen/Leben äußerst glaubwürdig ebenso was Systemkritik/Anti-Establishment/Kapitalismuskritik usw. betrifft. So schaffen sie es jedes Mal extrem viele bisherige Nichtwähler zu mobilisieren. In Summe konnte die KPÖ 10.000 Nichtwähler mobilisieren, damit konnte man die teilweisen starken Verlust an ÖVP und FPÖ ausgleichen.
Durch den zweiten Stadtrat könnte die KPÖ wirklich zu einer Macht in Graz werden, man stelle sich vor sie erhalten den Sozialstadtrat und können das ähnlich gut verkaufen wie den Wohnungsstadtrat. Die KPÖ könnte so noch stärker als DIE soziale Partei in Graz wahrgenommen werden.
FPÖ
Für Österreich, gegen Ausländer bzw. teilweise sogar gegen alle ohne deutsche Muttersprache kann die FPÖ sicher glaubwürdig verkaufen. In Graz ist das offensichtlich zu wenig, den Verkehrsstadtrat hat die FPÖ überhaupt nicht politisch ausgenutzt. Als FPÖ hätte ich das Thema Sicherheit auch viel eher in den Vordergrund gestellt, als Fremd in der eigenen Schule usw. Es ist aber möglich, dass man sich hier gegen Bürgermeister Nagl auf verlorenen Posten gesehen hat.
Die FPÖ braucht zumindest ein zweites Kern-/Herzensthema in Graz, Verkehrsstadtrat hat nicht funktioniert und ist in Graz wohl auch undankbar. Taktisch wäre eventuell ein anderes Referat sinnvoller.
GRÜNE
In Umfragen schätzen die Grazer, wie bei der ÖVP geschrieben, die Lebensqualität in ihrer Stadt sehr hoch ein. Unzufrieden ist eine Mehrheit mit der Luftqualität, leistbaren Wohnraum und dem Verkehr. Eigentlich perfekt für die Grünen, deren Kampagne hatte aber hauptsächlich das Murkraftwerk, gegen schwarz/blau und hohe Lebensqualität als Thema. Murkraftwerk und gegen schwarz/blau sind als Themen in Graz meiner Meinung nach überbewertet, durch die Proporz-Regierung stellt die FPÖ so oder so einen Stadtrat. Sicherung der Lebensqualität verbindet man eher mit der Bürgermeister Partei.
Die Grünen sollten sich in Graz auf die drei Themen Verkehr, Luftqualität und leistbares Wohnen/Leben also Soziales konzentrieren und in Zukunft was aus ihrem Stadtrat machen. Für viele Grüne ist natürlich das Murkraftwerk eines der Umweltthemen in Graz, für viele Grazer offensichtlich nicht.
SPÖ
Bei welchem Thema hat die SPÖ in Graz ein Alleinstellungsmerkmal, also vertritt das Thema am glaubwürdigsten? Mir fällt nichts ein und offensichtlich fehlt dieser Grund auch vielen potentiellen Wählern um ihre Kreuz bei der SPÖ zu machen bzw. überhaupt hin zu gehen. Am ehesten war noch ein Grund die SPÖ zu wählen, dass Michael Ehmann und auch einige andere SPÖ Kandidaten sehr sympathisch sind.
Der Verlust des Stadtrats ist für die SPÖ positiv wie negativ zu sehen, bisher hat ihnen der Stadtrat auch nichts genutzt bzw. haben sie nicht daraus gemacht. Sie können in der Zukunft als größte Oppositionspartei, durch mehr Ressourcen als die anderen, Entwicklungen hinterfragen und Alternativen anbieten. Es geht darum, dass die SPÖ in Graz und Michael Ehmann für etwas stehen und das glaubwürdiger als eine andere Partei.
NEOS
Um den Einzug in den Gemeinderat zu sichern wurde in der Kampagne vor allem auf eine eingeschränkte Zielgruppe gesetzt, die unter 30-jährigen, um die sich sonst niemand so stark bemüht hat. Das konnte man glaubwürdig verkaufen, zu einem zweiten Mandat haben 36 Stimmen gefehlt.
Die direkte Konfrontation um eine größere Zielgruppe hat man aber gescheut, wohl auch wegen der Stärke der Person Siegfried Nagl.
Aufgabe wird sein, zum einen schon eine starke Stimme der unter 30-jährigen im Gemeinderat zu sein, wie man es im Wahlkampf versprochen hat, aber auch für andere Gruppen sinnvolle Politik zu machen, wenn man nächstes Mal wachsen will.
Für einen Gemeinderat allein sicher eine Herausforderung, die Piraten haben das in der letzten Gemeinderatsperiode überhaupt nicht geschafft.
100.000 Nichtwähler
Die Wahlbeteiligung in Graz ist zwar leicht gestiegen, aber 57% ist immer noch sehr wenig. Man stellt sich die Frage wie bei einem Angebot von 10 Listen, von relativ weit links bis relativ weit rechts, für so viele Menschen kein Grund vorhanden ist wählen zu gehen.
derStandard und das IMAS-Institut haben Nichtwähler mal in sechs Typen eingeteilt:
Die Frustrierten – „Mit dieser Politik habe ich nichts am Hut.“
Die Desinteressierten – „Die da oben machen eh, was sie wollen.“
Die Verhinderten – „Die Wahllokale haben nur bis 18h offen. AM TAG NACH DEM SAMSTAG!!!“
Die Gleichgültigen – „Eine Stimme mehr oder weniger, auf mich kommt es nicht an.“
Die Enttäuschten – „Ich weiß einfach wirklich nicht, wen ich wählen könnte.“
Die Systemverweigerer – „Wahlen dienen nur der Legitimierung der Scheindemokratie in der wir leben.“
Ich glaube es gibt schon noch eine zusätzliche Gruppe, die aber schon in die Gleichgültigen fallen könnten. Die meinen es passt es so, auf Graz bezogen ÖVP und KPÖ bleiben eh stark, das passt für Graz auch so, wird in Summe schon was sinnvolles rauskommen.
So oder so ist das sicher etwas was man von der KPÖ lernen kann, diese schafft es Nichtwähler viel stärker anzusprechen als alle anderen Parteien zusammen.
Gewonnene Erkenntnisse
Die sind zwar alle auch für mich nicht neu, haben sich aber durch die Gemeinderatswahl in Graz bestätigt.
Gemeinderatswahl ist Gemeinderatswahl ist Gemeinderatswahl. Es ist jetzt zwar ein gutes Recht der ÖVP auch im Land und Bund zu feiern, aber irgendwelche Rückschlüsse von Graz auf die Landes- oder Bundesebene würde ich vermeiden. Genauso wie umgekehrte Kritik an der SPÖ bzw. Bundeskanzler Kern, wie Plan-A schon jetzt gescheitert oder war wohl nix mit Plan-A, gerade aufgrund der Wahl in Graz unangebracht ist. Sicher sind einige Probleme in Graz auch auf Land- und Bund oder andere Kommunen übertragbar, aber Graz ist was Wahlen betrifft eben schon anders.
Glaubwürdigkeit ist Alles. Das ist auf Themen und auch auf Personen bezogen gemeint, es hilft nichts wenn die SPÖ die KPÖ nun auf einmal bei der Gemeinderatswahl beim Thema Wohnbau kritisiert, was USP und Glaubwürdigkeit betrifft war sie da chancenlos. ÖVP und KPÖ haben ihr Ergebnis vor allem den zwei Spitzenkandidaten zu verdanken, die sich ein Image aufgebaut haben, dass zur Partei passt, zu ihren Themen passt und in Summe stimmig und glaubwürdig ist.
Themen mit Relevanz. Das ist die Frage vor der Wahlkampfkampagne die sich alle stellen, ein Thema das in einem Monat überall in den Medien ist, kann in der Endphase des Wahlkampfes schon belanglos sein. Gab es in Graz überhaupt die großen Themen? Jein, für die KPÖ ist es sicher immer der Wohnbau, das Murkraftwerk schon es irgendwie auch, Verkehr haben alle Parteien thematisiert und Bildung war zeitweise auch sehr präsent.
Die Feinstaubproblematik, falls überhaupt politisch stark beeinflussbar, war aber sonderbarerweise trotz offensichtlichen Höhepunkt im Jänner und Februar für die meisten Parteien kein großes Wahlkampfthema, hätte man sicher mit guten Vorschlägen punkten können.
Nichtwähler gezielter ansprechen. Sicher eine Herausforderung für alle Parteien und für manche Parteien taktisch auch nicht sinnvoll, weil sie von einer niedrigen Wahlbeteiligung profitieren. Als riesige Gruppe bieten die Nichtwähler aber auch ein großes Potential, wie man bei der KPÖ sieht, wenn man diese zur Wahlurne bringt, mal vom demokratiepolitischen Auftrag abgesehen.